SehensWERT: Democracy – Im Rausch der Daten

Kinodokumentarfilm, Democracy – Im Rausch der Daten, Regie David Bernet, Deutschland/Frankreich 2015, 100 Minuten, mit Jan Philipp Albrecht, Viviane Reding u. a.; Kinostart in Deutschland 12. November 2015

Ein Film wie ein Blick hinter die Brüsseler Kulissen. David Bernet öffnet Türen, die sonst nur Aktenzeichen kennen, und zeigt, wie Gesetzgebung nicht als Idee, sondern als Arbeit entsteht. Sitzungen, Shadow Meetings, Kompromisse, die in langen Nächten aus Widersprüchen geschliffen werden. Wer Europa oft nur als Chiffre hört, sieht hier Hände, Stimmen, Gesichter.

Im Zentrum steht Jan Philipp Albrecht, der junge Berichterstatter, der sich durch Berge von Änderungsanträgen arbeitet. Nicht als Held, eher als stoischer Handwerker demokratischer Prozedur. Ihm zur Seite, als Gegenlicht und Korrektiv, Viviane Reding, die fragt, wo die Balance liegt zwischen Grundrechten und ökonomischer Verwertung. Der Film bleibt nah, ohne devot zu werden, und zeigt, wie Politik unter Druck atmet.

Dann folgt eine Zäsur. Die Enthüllungen von Edward Snowden verschieben die Koordinaten. Plötzlich ist die Debatte nicht mehr abstrakt. Privatsphäre wird zur europäischen Frage, nicht zur privaten Marotte. Aus Paragrafen werden Konsequenzen. Bernet nutzt diesen Moment nicht für Pathos, sondern für Klarheit. Die Kamera hält still, die Argumente sprechen.

Formal ist das eine Stärke. Monochrome Bilder, ruhige Kompositionen, ein Schnitt, der Reibung zulässt. Keine didaktische Folie, sondern ein Rhythmus, der die Zähigkeit des Prozesses ernst nimmt. So entsteht ein seltenes Format für ein sperriges Thema. Man versteht, wie Lobby, Rat, Kommission und Parlament einander umkreisen und warum Fortschritt in Europa oft wie ein langsamer Tanz wirkt.

Widerspruch gehört dazu. Wer eine breite Genealogie digitaler Bürgerrechtsbewegungen erwartet, vermisst Hackerszenen und zivilgesellschaftliche Vorläufer. Wer auf schnelle Enthüllungen hofft, stößt sich an der Geduld des Films. Beides ist ein fairer Einwand. Doch gerade die Konzentration auf wenige Akteur:innen macht sichtbar, wie Verantwortung konkret wird.

Sehenswert ist Democracy – Im Rausch der Daten, weil der Film Demokratie als Tätigkeit zeigt. Kein Mythos von Brüssel, sondern mühsame Begriffsarbeit zwischen Datenschutz und Datengier. Wer verstehen will, wie europäische Normen entstehen und warum sie unser tägliches Leben durchdringen, findet hier eine präzise Einladung. Nicht zum Konsens, sondern zum Mitdenken.

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