Für ein anderes Europa. Vertrag zur Demokratisierung der Eurozone
von Stéphanie Hennette, Thomas Piketty, Guillaume Sacriste und Antoine Vauchez, übersetzt von Michael Bischoff.

Erscheinen im Verlag C.H. Beck München, 2017, 89 Seiten, 10,00€

Der französische Starökonom Piketty räumt auf. Erneut, und dieses mal mit starker Unterstützung. Denn zusammen mit seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern fordert er nicht nur dringend notwendige Reformen in der Euro-Zone ein, er hat gleichzeitig eine größere Mission: Er möchte den in zahlreichen Ländern der Eurozone stärker werdenden Rechtspopulismus eindämmen. Indem er die in Verantwortung befindlichen Politiker auffordert, sich auf einen Demokratisierungsvertrag zu einigen, stellt er zudem dar, wie eine mögliche europäische Lösung, eine Reform der mal ratlos gelähmten, mal hilflos taumelten Eurozone aussehen kann. Und nachdem klar wird, was etwa in Deutschland das von der politischen Konkurrenz begonnene, und durch die viele Leitmedien der Berliner Republik leider nur allzu oft verstärkte Ausgrenzen couragierter Ökonomen folgt -nämlich der Aufstieg der Radikalen und Extremen in der einstigen Partei großer Ökonomen wie Joachim Starbatty, welche leidenschaftlich für Reformmaßnahmen plädierten- (hier nachzulesen im Handelsblatt), sollte man nun endlich dazu übergehen, klugen Kritikern zuzuhören. 

Und so stehen wir, so stellen Hennette, Piktty, Sacriste und Vauchez fest, noch immer vor einem wachsenden Berg an Herausforderungen. Denn: Europäische Lösungen sind oft gefordert worden in den vergangenen drei Jahren. Gefunden wurden bisher vor allem Notlösungen, die aus der einst als starke Basis weiterer europäischer Einigung erdachten Eurozone einen hässlichen Flickenteppich der sozialen Ungerechtigkeit gemacht hat. Und Europa, so scheint es, sinniert darüber, wie es sich aus der Erstarrung lösen kann. Doch gute Lösungsvorschläge sind rar. Und es fehlt zu allem Überfluss an Visionen, die über die Euromisere hinwegsehen lassen könnten. Denn die strukturellen Fehler und Erbsünden des Euro bedrohen die Zustimmung für den Prozess der Vereinigung Europas vielerorts. Im Kern stimmen die Autoren daher der viel beachteten, und nicht zuletzt durch überzeugte Europäer viel kritisierte Kernaussage der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel zu: Scheitert der Euro, dann scheitert eine zentrale Kraft zur Vereinigung Europas. Denn keine europäische Vision hätte nach einer solchen Zäsur, wie dem Scheitern der Währungsunion, Aussicht auf Erfolg. Eine Stabilisierung der Wirtschafts- und Währungsunion ist somit Grundvoraussetzung für weitere europäische Perspektiven und Schritte in Richtung einer erfolgreichen Union. Und so wollen die Autoren schnell weg von der beschränkt erfolgreichen Praxis der behelfsmäßigen Stabilisierung des Euro vorläufig, und hin zu nachhaltigen Maßnahmen. Dazu zählen sie etwa einen Abbau des gewaltigen wirtschaftlichen Gefälles in der Eurozone und die Einführung starker, in allen Ländern der Eurozone gleich gestalteten Finanzinstrumenten. Denn die nach wie vor zur Regel zählenden nationalen Alleingänge in Wirtschafts- und Steuerpolitik konterkarierten eine funktionierende gemeinsame Währung.

Und so ist die Gemeinschaftsintervention des französischen Quartetts in erster Linie ein Plädoyer für eine ehrliche, klar kommunizierte, und rechtlich kodifizierte radikale Machtverschiebung in Europa. Ein Ansatz, der (typisch Piketty) grundsätzlich gedacht und in klarer Sprache – Michael Bischoff leistet hervorragende Arbeit bei der Übersetzung – vorgetragen ist. Und auch wenn an einigen Stellen altbekannte Vorschläge und Forderungen wiederaufgegriffen werden, wie beispielsweise das gemischte Kabinett aus nationalen Parlamenten und dem Europaparlament, hat der Gesamtvorschlag dennoch Sprengkraft. Denn der Ansatz sieht keineswegs einen Ausbau demokratischer Elemente vor, die “demokratische Substanz”, nach der in Europafragen so oft gefragt wird, würde vielmehr unter dem wenig beschränkten Durchgriffsrecht eines in währungspolitischen Fragen mächtigen Parlaments dahinschmelzen. Hier hält der Titel nur, was er verspricht, wenn man den Autoren bei Umdeutung des in den Ländern der Eurozone bisher gängigen Demokratiedefinition folgt. Ziel dabei ist es, das wird deutlich, die Stabilitäts- und Konsolidierungspolitik Deutschlands zugunsten der geforderten grundlegenden Euroreformen zu beenden. Ein Vorschlag, der so das breite Feld der im Raum stehenden, selten so grundsätzlichen Reformansätzen dennoch nicht zuletzt durch seine Offenheit bereichert. Denn so wird auch die aktuelle französische Perspektive in Europa deutlich, die bei ihren Überlegungen stets auf Deutschland blickt, und so das Bild des Deutsch-Französischer Motors eine neue Implikation gibt. So wird der Stillstand im Getriebe der europäischen Einigung umso verständlicher, je deutlicher sich die Unwuchten der deutsch-französischen Partnerschaft darstellen. Denn ein Vorschlag, wie hier vorgetragen, würde in Deutschland verständlicherweise keine Zustimmung finden. Einen schalen Beigeschmack hinterlässt die Darstellung der europäischen Exekutiven, die im Buch stellenweise wie im Zerrbild der Darstellungen populistischer Parteien erscheinen. Auch wenn die Autoren hier ihre Figur des “Euro-Parlaments” umso überzeugender gegenüberstellen können, lässt die Analyse des Ist-Zustandes doch zu Wünschen übrig. Es fehlt die Tiefe. Doch bemerkenswert und lesenswert wird das Buch neben der klaren Darstellung seiner Forderung nicht nur durch seinen charmanten Aufbau. Denn dieser besticht zuvörderst durch den durch die Autoren vorgelegten Vertragstext, scheinbar reif zur Ratifizierung formuliert, gegliedert in 22 Artikel, welche auf Erläuterungen vorangestellte ebenso wenig verzichten wie auf jeweilige Begründungen mit einer rechtlichen wie auch politischen Perspektive. Dabei leistet nicht nur der Spiritus Rector des kurzen Buches, Piketty, hervorragende Arbeit. Denn auch von Stéphanie Hennette, Professorin für öffentliches Recht, vom Politikwissenschaft lehrende Guillaume Sacriste und der Soziologin Antoine Vauchez werden wichtige Perspektiven eröffnet, die in Für ein anderes Europa zusammengeführt erneut zeigen, wie fruchtbar interdisziplinäre Diskurse sein können, um die Stoßrichtung einer Denkschule zu verstehen.

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