Good Reads – Wirtschaft: Tatort Euro, Bürger, schützt das Recht, die Demokratie und euer Vermögen von Joachim Starbatty

Europa Verlag, Berlin, 2013, Gebunden, 384 Seiten, 22,00 EUR

Wieder ist Streit im europäischen Haus, und noch immer geht es um den Euro. Die Staatsschulden steigen, die Eurozone ist in einer dauerhaften Krise, eine Maßnahme zur Krisenbewältigung ist kaum geplant, da steht die nächste Krise ins Haus. Viele Beobachter, im Besonderen die Volkswirtschaftlerinnen und Volkswirtschaftler sehen dieses kurzfristige Taktieren schon lange kritisch. Und diese aktuelle Praxis dieser dauerhaften Eurorettung bedauert auch der akademisch verdiente Professor für Volkswirtschaftslehre, Joachim Starbatty, und legt in seinem Buch Tatort Euro ausführlich seine zentralen Standpunkte dar. Er erläutert dabei die seiner Position nach relevante Theorie, analysiert neben seiner Einschätzung der finanzpolitischen Lage aber auch ausführlich die Kommunikation der Spitzenpolitiker. Denn diese, davon ist er überzeugt, schade der Gesamtidee eines geeinten Europas.

So entzaubert besonders gelungen und bereits nach dem Vorwort, Starbattys Wingman in diesem Buch, Hans Magnus Enzensberger in den “Vierzig unvorgreiflichen Erkundigungen” das Bullshitbingo der deutschen Spitzenpolitik als verzweifelten Versuch, den gesamtgesellschaftlichen Diskurs über die strukturellen Fehler der Eurozone mit Akronymen und Phrasen wegzuregieren. Und wer könnte dies besser, hier muss man Starbatty jetzt schon beglückwünschen, als der sprachgewandte Meister im “habituelle(n) Hakenschlagen” wie Richard Kämmerlings die Paradedisziplin Enzensbergers einmal in der FAZ (LINK) taufte. Und Starbatty liefert nach der anschließenden ausführlichen Analyse konkrete politische Vorschläge, das macht das Buch auch bis zur letzten Seite lesenswert.

Deutschlands Möglichkeiten, die Krisen der südlichen Staaten der Eurozone abzufangen, schwinden. Zumindest, wenn sie nicht mit signifikanten Auswirkungen auf die Soziale Marktwirtschaft Deutschlands bezahlt werden will. Und noch mehr: es droht eine gefährliche gesamteuropäische Krise, wenn die Politik nicht beginnt, langfristige Strategien für eine stabile Eurozone zu entwickeln. Ein Lösungsvorschlag von Starbatty: Mitgliedsstaaten der Eurozone, welche ihre Staatsfinanzen nicht in Ordnung bringen können, müssen zu ihren alten Währungen zurück. Im Anschluss soll eine faire Sanierungsperspektive durch eine Entschuldung, durch den vor allem von Gläubigerbanken gefürchteten Schuldenschnitt erfolgen. Diese verschlankte Eurozone mit leistungsstärkeren Volkswirtschaften wäre in der Lage, die Sicherheitsversprechen gegenüber den Bürgern einzuhalten. Die Wirtschaftsräume der ausgeschiedenen Staaten wären im Gegenzug flexibler und könnten ihren angestrebten Strukturwandel ohne hochproblematische Effekte wie eine weitere Verarmung der untersten Gesellschaftsschicht vollziehen.

Dabei besticht Starbattys Ausführung mit einer ausführlichen Analyse: So stellt er fest, dass der geringere Preisanstieg in Deutschland der realen Abwertung des Euro respektive einer realen Aufwertung der Länder mit höherem Preisanstieg entspricht. Dass der Euro nicht wie häufig dargestellt notwenider Garant für deutschen Exporte ist, stellt Starbatty ebenfalls klar, etwa auf de Seiten 246 und 247: So sei “der Exportanstieg […] für Deutschland von 45,4 Prozent im Jahr 2000 auf 39,7 Prozent im Jahr 2011 zurückgegangen.“ Für eben diesen verantwortlich sei dabei nicht zuletzt -hier zeigt sich das Dilemma des Euro sehr deutlich- die den krisenhaften Ländern auferlegte Austeritätspolitik. Denn diese führt notwendigerweise zu einem Rückgang dem Binnenkonsum in den betroffenen Ländern. Das Joachim Starbatty von Karl Schiller gelernt hat, wird deutlich, wenn er das Fehlen einer Sozialdividende bei der Währung Euro moniert. Und er hat recht: Der vom Ökonomen und ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Schiller geprägte Begriff der Sozialdividende als Begriff für die positiven Effekte der Aufwertung der D-Mark war lange das, was der Bürger beim täglichen Einkauf vom Wirtschaftswachstum spürte. Ob wir hier eher Zeuge Starbattys nostalgischen Blicks in die Vergangenheit werden, einer Romantisierung vergangener Wirtschaftseffekte, in einer von der Globalisierung veränderten Gegenwart obsolet geworden, oder hier tatsächlich wie von Starbatty nahegelegt, ohne Not ein Teil des Sozialen in der Marktwirtschaft Deutschlands aufgegeben wurde, das werden wir in Ermangelung einer konkreten Untersuchung nicht klären können. Doch Starbatty argumentiert weiter: “Seit dem Jahre 2000 sind die Realeinkommen für die abhängig Beschäftigten nicht gestiegen; für die unteren Lohnklassen sind sie sogar gesunken.“ Und: „Wenn die „Sozial-Dividende“ wie früher wieder ausgeschüttet würde, wären auch die Masseneinkommen höher, weil importierte Produkte wie Textilien, Benzin oder Heizöl billiger würden und damit auch mehr Kaufkraft für inländische Produkte zur Verfügung stände.“ Hier weist Starbatty auf eine im Euro-Diskurs oft unterschätzten Umstand hin: Deutschland ist nicht nur auf seinem vielfältigen Export angewiesen. Bei vielen Waren (auch derer des täglichen Bedarfes) stützt sich Deutschland auf Importe ab.

Doch Starbattys Verdienst erschöpft sich nicht darin, diesen Vorschlag, den auch andere Wissenschaftlerinnen und Experten schon formuliert haben, in seinem 384-seitigem Werk stark zu untermauern. Denn Starbatty kann vor allem mit der durch Enzensberger eröffneten Kritik an der aktuellen politischen Kommunikationskultur in Europa- und Währungsfragen punkten. So spricht er über zahlreiche im politischen Diskurs oft verdrängte Sachverhalte: Die maßgeblichen Akteure der im Bundestag vertretenen Parteien -auch der Opposition- tragen die Entscheidung, die Schuldnerstaaten in der Eurozone zu halten, mit. Daher zeichnet sich eine nicht einmal in den europäischen Verträgen vorgesehene dauerhafte Transferunion ab. Diese Entwicklung kann folgenschwer für die Bürger der betroffenen Staaten sein, besonders die kleinen Ersparnisse leiden. Besondere Brisanz gewinn diese Problematik vor dem Hintergrund, dass die Folgen der aktuellen Politik erst in späteren Legislaturperioden spürbar werden könnten. Neben der Tatsache, dass das aktuelle Vorgehen ohnehin nicht auf einer besonders starken demokratischen Legitimation fußt, stellen solche Effekte die repräsentative Demokratie vor starke Herausforderungen. Eine umso wichtigere Diskussion auch über die Negativszenarien bleibt dennoch aus. Das Ansehen der Demokratie leidet in der Folge besonders bei den ärmeren Menschen, die in den drohenden Krisen dynamisch die Assetklasse wechseln können, um die Folgen der Geldpolitik von gestern auszugleichen. Wenigstens hier, in der Kommunikationsfrage kann Starbatty mit dem Staatsoberhaupt Deutschlands auf einen Unterstützer aus der Politik hoffen. Denn, wenn auch mit wenig Einfluss auf das galoppierende Tagesgeschehen, fordert auch Bundespräsident Gauck die weit überfällige Verbreiterung des deutschen Diskurses über die Zukunft der gemeinsamen Währung ein (LINK). 

Problematisch ist für Starbatty auch, in welchem Tempo zahlreiche Entscheidungsprozesse vom Bundestag nach Brüssel verschoben werden. Seiner Überzeugung nach ein starker Schwund demokratischer Substanz. Vor allem, weil in der Europäischen Union in vielen Fragen auch wenig Rechtssicherheit herrscht. Starbatty wirft auch einen Blick in die Vergangenheit, bei dem er nachvollziehbar die Aufweichung der Konvergenzkriterien für den Beitritt in die Eurozone nachzeichnet, die Ursünde der aktuellen Misere. Bei diesem “Geburtsfehler” des Euro wurde es zudem sträflich unterlassen, mit der gemeinsamen Währung eine grundsätzlichere Konsolidierung der Wirtschafts- und Steuerpolitik auf den Weg zu bringen. So wurden überhastet Länder unter einer gemeinsamen Währung vereinigt, die ihre unterschiedlichen Wirtschaftsphilosophien und teils gegensätzlichen Politiken nicht einmal im Anfang als Partner einer Währungsunion diskutiert hatten.

Und so macht sich der leidenschaftliche Europäer Starbatty Sorgen: Denn mit den nicht nur in Deutschland, sondern gerade in den durch die deutsche Forderung nach Austerität gebeutelten Krisenstaaten macht sich starker Widerstand breit. So zweifeln viele Europäer nun auch am europäischen Einigungsprozess im Ganzen. Das ist für die Zukunft Europas fatal.

Auch Starbattys Ausführungen zu der im Vertrag von Maastricht vorgesehenen Rolle der Europäischen Zentralbank, und dem tatsächlichen aktuellen Einsatz der EZB sind bemerkenswert. Starbatty zeichnet das Vorgehen der EZB als Komplize und Helfershelfer der Euroretter nach, weniger auf die Stabilität der Währung bedacht, als auf die Durchsetzung des politischen Willens, kauft sie Staatsanleihen und will sich nicht festlegen, wann die Ausweitung der Geldmenge ein Ende finden soll. Sollten zukünftige Krisen die Währungsgemeinschaft treffen, kann sie wenig agil reagieren: Denn funktionierten die früheren Wechselkurse wie Ausgleichsventile zwischen den einzelnen Volkswirtschaften, so könnte nun jede zukünftige Krise zu einer neuerlichen Belastungsprobe für die Eurozone werden. Dauerhaft niedrige Zinsen, wie sie die EZB in Aussicht stellt, können nicht als Lösung, sondern auch als Problem selbst wirken. So ermöglichten niedrige Zinsen etwa die Immobilienblase in Südeuropa. Mit dem Platzen der Blase begann die bis heute anhaltende Krise, die besonders hart die Länder Griechenland, Spanien und Portugal traf. Diese Länder müssten, so fordert Joachim Starbatty, unter Beweis stellen, dass sie aus diesen Fehlern gelernt hätten. Der Euro sei für eine Abkehr von dem alten Fehler, die Volkswirtschaften durch kurzfristig gedachte Experimenten zu gefährden, nicht das geeignete Mittel. Dass die Lösung des Ausscheidens der Krisenstaaten aus der Eurozone nicht leicht wird, wird in Tatort Euro ebenfalls nicht verschwiegen. Der hochproblematischen Frage, wie mit den Target-Salden umzugehen ist, widmet sich ab der Seite 205 ein ganzes Kapitel. Hier fasst Starbatty umfassend die wissenschaftliche Debatte zusammen, und zitiert ausführlich die Position seines Kollegen Hans-Werner Sinn, der wie kein anderer vor dem sich verschärfenden Falleneffekt in der Problematik warnt. So besteht die Gefahr, dass Deutschland auf die Forderungen im Targetsystem gegenüber den Krisenstaaten zumindest zu großen Teilen verzichten müsste, würden diese aus dem Eurosystem austreten. Auch Volkswirte wie Bert Rürup teilen diese Sorge.

„Tatort Euro“ ist von Beginn an ein zugleich emotionales Bekenntnis wie auch eine Bestandsaufnahme wichtiger Tatsachen aus der Perspektive der kritischen Eurobefürworter. Damit ist es Programm jener um Maß und Mitte bemühten Gruppe, welche dieser Tage geradezu verzweifelt versucht, zwischen den Fronten auf sich aufmerksam zu machen. Denn hier werden Vorschläge gemacht, die das Projekt einer gemeinsamen Währung in Europa retten könnte. Starbatty muss dabei immer wieder, das ist im aktuellen Status der Diskussion leider nötig, Zuschreibungen wie “Eurogegner”, oder “Eurorebellen” von sich. Denn solche reißerischen Zuschreibungen sind seiner konstruktiven Vorschläge nicht würdig. Denn er plädiert mitnichten für die Auflösung der Euro-Zone oder für ein Zurück zu den nationalen Währungen. Er fordert vielmehr eine konsolidierte Eurozone. Denn wen die Schuldnerländer, wie er vorschlägt, den Euro verlassen, könnten sie ihre Währungen unkompliziert abwerten. Die in der Eurozone verbleibenden Länder würden hingegen aufgewertet. Die Folge könnte eine Umverteilung von oben nach unten sein. Denn während die exportorientierte Industrie Deutschlands zur Disziplin der D-Markzeiten zurückkehren müsste, wäre für breite Bevölkerungsschichten ein Kaufkraftgewinn zu erwarten, die Ersparnisse würden aufgewertet. Mit dem Ende der Diskussionen um durch den Euro verursachte Probleme wie deutsche Reformforderungen in Griechenland wäre Schluss, und verbindende Themen wie Rechtsstaatlichkeit und die europaweite Förderung freiheitlicher, sozialer Demokratien könnte in den Mittelpunkt zurückkehren. Starbatty denkt hier nicht zuletzt an die Jugend der Krisenländer, deren Bildung und damit deren Zukunft den deutschen Forderungen nach Austerität zum Opfer fällt. Wer geduldig Starbatty folgt, erlebt einen begeisterten Europäer, der dem Euro eine wichtige Rolle in einer währungspolitisch multipolaren Welt zudenkt. Eine klare Leseempfehlung also für alle, die dem Euro ebenso eine Zukunft wünschen, wie einer stabilen sozialen Marktwirtschaft in Deutschland und dabei gerne kontrovers diskutieren.

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