Patrick Bahners: Die Wiederkehr. Die AfD und der neue deutsche Nationalismus. Erschienen im Klett-Cotta Verlag in Stuttgart, 2023, kostet die gebundene Ausgabe mit 544 Seiten 28,00 EUR

Eine Analyse des neuen, alten Nationalismus, und seiner Akteure, welche für Patrick Bahners nicht überraschend zurück auf die politische Bühne der Bundesrepublik getreten sind, lesen wir im neuesten Buch des FAZ-Feuilletonisten. Eine umfangreiche Analyse, die passend zum 10 Jährigen Jubiläum der AfD kommt. Bahners beginnt dort, wo er stark ist: Mit politischen Aktueren. Eine zentrale Figur in Bahners Werk ist, es verwundert kaum, Alexander Gauland. Die literarische Öffentlichkeit habe Gauland zunächst als Romanfigur kennengelernt – als Staatssekretär in Martin Walsers Roman „Finks Krieg“, erinnert Bahners. Ein eleganter Auftakt für seine weitere Durchleuchtung und Darstellung des Habitus jenes politischen Akteurs, der wie wenige Andere den Nationalismus der AfD personifiziert. Nur zwei Jahre nach „Finks Krieg“ wurde Walser mit dem Begriff der „Moralkeule“, den er 1998 in seiner Friedenspreis-Rede gebrauchte, zum „Türöffner“ der AfD – so Bahners. Ohnehin liegen die Wurzeln der nun so teils geächteten, teils gar gefürchteten und teils nur noch belächelten Partei nach Bahners Sicht in der intellektuell-literarischen Szene: Größen wie Cora Stephan und Thilo Sarrazin befördern, so zeichnet Bahner nach, als prominente Vordenker nationalistische Rede- und Denktraditionen zurück in den öffentlichen Diskurs. 

Der „Bau“ der AfD begann bereits in den Jahren vor der Jahrtausendwende, erläutert Bahners weiter – unter der Schirmherrschaft des FAZ-Herausgebers Joachim Fest. Es sollte die Gründung einer „bürgerlichen Alternativpartei“ vorbereitet werden. Und da ein Sohn Fests, Nicolaus Fest, heute die AfD im Europaparlament vertritt, sieht Bahners auch in seiner Heimat FAZ durchaus einige „Keime“ der AfD – etwa den Neue Rechte-Autor Günter Maschke oder den damaligen Feuilletonchef Günther Rühle. Doch die Idee einer neuen bürgerlichen Partei stammte nicht nur aus den Reihen der FAZ, sondern wurde in jener Zeit immer wieder geäußert. Die Frage, die es dann zu klären gilt, ist lediglich, weshalb die AfD es tatsächlich geschafft hat. Denn begonnen als eurokritische „Professoren-Partei“ und erst nach und nach zum „Sammelbecken“ auch für „ultrarechte Nationalisten“ gewandelt müsse, so Bahners, bereits am Anfang ein nationalistischen Kern existiert haben. Denn auch insbesondere Gauland habe bereits zu Beginn auf die „nationale Karte“ gesetzt. Auch AfD-Mitgründer Konrad Adam hatte, auch daran erinnert Bahners, in den Anfangsjahren den deutschen Sozialstaat und die „politische Bürokratie“ kritisiert. Eine gewisse ideologische Kontinuität der Partei zeichne sich also auch hier, so glaubt Bahners, ab. Interessante Blicke in die gegensätzlichen Wahrnehmungen der Parteientwicklung ergeben sich auch, wenn Bahners die in der F.A.S. zu Protokoll gegebenen Erinnerungen des rheinland-pfälzischen Landesvorsitzenden Uwe Junge über den Radikalisierungsprozzess der Partei den Erkenntnissen Wibke Beckers über moralische Abgründe in den Publikationen des Parteiunterstützers Hans-Olaf Henkel entgegenstellt. Bahners Fazit: Der Fisch stank (bereits) vom (Hamburger) Kopfe her. Und in der Tat: Unter dem Bannstrahl Beckers Werkanalyse henkelscher Irrungen und Wirrungen folgen auf Abgründe verschwörungstheoretisch anmutender Elitenkritik stumpfe Ingroup/Outgroup-Konzeptionen. Ob die inhaltlichen Punkte der Kritiker der Eurorettungspraxis indes berechtigt waren, ist nicht Gegenstand Bahners Überlegungen. Und ob die hinter dem vergleichweise lauten Henkel stehenden Reformer der Euroäischen Union -sicher nicht alle beeinflusst von Henkels (un)moralisch erscheinenden An- und Weltsichten- sehrwohl eine “Verfallsgeschichte” der Partei erlebten, diesen Punkt lässt Bahners aus. Er ist Preußen- nicht Wirtschaftshistoriker, seine Analyse gilt dem politischen Feld, nicht der Wirtschaft. Und so wird deutlich: Wer die Publikationen von Parteigründern studiert, vermag möglicherweise in die Zukunft dieser zu blicken. Und doch es die teilweise zu sehr auf einzelne Akteure fixierte Analyse Bahners, die Teile des Diskurses unaufgearbeitet lässt. Ein Meisterstück gelingt, wenn Bahners Jürgen Habermas Gedanken zum Skandal von Erfurt, in denen er die Ereignisse als Zäsur in der politischen Geschichte der Bundesrepublik deutet, analysiert. Die folgende durch die damalige CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel begonnene “Abkehr von den Zweideutigkeiten” habe zugleich die Möglichkeit der Anerkennung der neuen politischen Kraft und damit auch die Möglichkeit zur daraus ermöglichten schonungslosen Kritik jener nationalistischen Höcke-Wähler geschaffen. Höckes Manöver wurde so zum Befreiungsschlag, nicht für seine völkisch-nationalistischen Ziele, seinem Griff nach politischer Macht in Thüringen, sondern für die CDU und die restlichen Partien, die nun in aller Deutlichkeit der AfD ihre Rolle als antieuropäische Opposition zuweisen konnten. Bahners formuliert auch Fragen für die Zukunft: Die Frage etwa nach dem Verhältnis der Partei zu ihren am stärksten radikalen, extremsten Kräften ist für ihn noch nicht abschließend beantwortet. Trotz der Auflösung des rechten Flügels habe dieser beispielsweise kaum an Macht eingebüßt. Auf eine Antwort hofft Bahners bei den Landtagswahlen 2024. Beunuhigt blickt er auch auf den gesamtgesellschaftlichen Diskurs: Bisher habe auch die Russland-freundliche Haltung der AfD ihr keine Nachteile eingebracht. Für die Demokratie sei sie dennoch eine parlamentarische Kraft, die „in entschiedener Weise eine Gegenposition zur Bundesregierung“ vertrete, das tue jedenfalls gut. Denn auch wenn die Ideologie des Nationalismus „vorsintflutlich“ erscheinen möge, die AfD fungiere als „Sammlungsbewegung“, nationalistische Ideologie lässt sich nun -parteipolitisch versammelt- bekämpfen.

Und hier zeigt Bahners tatsächliche Lösungen auf und fordert die engagierte Auseinandersetzung. Er entwirft ein strategisches Vorgehen, das auf argumentatives Vorgehen baut, auf ein aktives Stellen der Nationalisten in der Debatte zielt. Sein Grundlagenwerk über die AfD ist wertvoll. Denn es muss sich nicht nur mitnichten hinter den allzu zahlreich gewordenen Publikationen zum Themenkomplex Nationalismus und Rechtspopulismus verstecken, es kann vielmehr tatsächlich als Blaupause dienen für eine präzise inhaltliche Auseinandersetzung mit der Ideologie des Nationalismus, mit seinen Patronen und Vordenkern, welche mit der AfD vorerst zurück sind in den Parlamenten und den Debatten der Bundesrepublik.

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  • Good Reads (V)_Joshua_Tewalt: © Joshua Tewalt