Good Reads: Identitti, ein Roman von Mithu M. Sanyal

Carl Hanser Verlag, München 2021; Gebunden, 432 Seiten, 22,00 EUR

Ein politischer Roman, der Identität verhandelt. Mithu M. Sanyal überzeugt bei ihrem Romandebüt mit einem eleganten Stil, der durch seine Leichtigkeit auf die Reise in einen Fragenkomplex mitnimmt, über welchen einen Roman zu schreiben keine leichte Aufgabe ist.

Der Roman, den die Autorin einmal einen Heimatroman nannte, ist oft eine turbulente Reise, auf die Sanyal ihre Hauptprotagonistin Nivedita, eine Studentin der Intercultural Studies und Bloggerin, schickt. Die Handlung steuert dabei auf einen Kampf, einen verbalen Schlagabtausch zu, der Nivedita über die Grenzen dessen, was ihr bisher als sicher galt, hinausbringt. Denn Nivedita sucht die Konfrontation, als sie erfährt, dass ihre Heldin, Mentorin und ihr Rollenmodell, die Professorin für Postcolonial Studies Prof. Saraswati, die in Debatten über Identität Kultstatus besitzt, nicht als Person of Color geboren wurde, sondern ihre Biografie fälschte, “Blackfacing” betrieb. Nach einem ersten Schreckmoment und heftiger Verunsicherung fackelt Nivedita nicht lange, sie zieht bei Saraswati ein. Was folgt, ist eine Debatte, die weder die Grundfesten der enttäuschten Studentin, noch die Saraswatis unberührt lässt. Unterhaltsam und durchgehend spannend arbeitet Sanyal im Schlafgabtausch der beiden so Grenzfragen der Identitätsdebatte scharfsinnig auf. Sanyals Stil, ihre wohlbedachte Anordnung der Figuren lässt aus Aufeinanderfolgen von manchmal grotesk erscheinenden Situationen die Handlung eines Krimis werden. Denn auf der Suche nach ihrer Identität reflektiert Nivedita nicht nur mit überwältigender Offenheit ihre Emotionen, sie geht auch mit sorgfältigem Zweifel und akribischer Ermittlungsarbeit vor. Niveditas Erlebnisse und Stationen im Laufe der Handlung dabei könnten mit einem Satz aus dem Nachwort des Buches zusammengefasst werden, der auch Sanyals Programm gut beschreibt: „Identitätskämpfe sind Kämpfe um Fiktionen in der Wirklichkeit”.

Ein kleiner Wehrmutstropfen für Leser, die ihre Fantasie nicht allzu oft spielen lassen möchten: Holzschnittartig erscheinen einige Protagonisten in Identitti außerhalb ihrer Positionen zu den verhandelten Fragen. Dabei bietet jedoch gerade dieser Interpretationsspielraum, die entstehen Fragen eine wunderbare Projektionsfläche für noch mehr schillernde Farben im Regenbogen der bunten Akteure des Identitätskrimis. Und somit ist Mithu M. Sanyals politischer Roman eine große Leseempfehlung für alle, die dieser Tage nach einem klugen politischen Roman suchen, und alle, die spannungsvolle Wege auf der Suche nach Identität schätzen.

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