Wer ist wir? Wer bin ich? Ob die Frage der Herkunft, oder die der Identität: Die in allen Lebensbereichen sichtbar werdende Diversität bricht das auf, was einst und zeitweise starr war, und stellt infrage, was einigen lange als sicher galt. Einfache Antworten akzeptieren nur noch die Wenigsten. Und glauben kann eine simple Zuschreibung ohnehin nahezu keiner mehr. Und so fragen wir uns: Wen oder was spricht an, wer vom wir spricht. Wer sind wir, welche Labels können und wollen wir uns zuschreiben? Und dann ein Reizthema: Wie genau definiert man diese Identitätspolitik, von der so viele sprechen? Viele ungeklärte Fragen, die das Gespräch zwischen der Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal und der Philosophin Barbara Bleisch, welche die Sendung moderiert, umso spannender macht. In der sehenswerten, ein bisschen länger als eine Stunde dauernden Folge der Sendung Sternstunde Philosophie lassen sie dabei wenig aus, was den Diskurs um Identität und die dazugehörigen gesellschaftlichen Fragen, Multikulturalität und ihre Implikationen auf das Individuum bestimmt. Auch die Gretchenfrage, wer in einer diversen Gesellschaft nun wen repräsentiert, repräsentieren sollte, und repräsentieren kann, wird ohne Aufregung gestellt und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Dabei kommt Sanyal, Autorin des Romans Identitti, in welchem sie Grenzfragen der Identitätsdebatte aufarbeitet, immer wieder darauf zurück, was für die Debatte von Relevanz ist. Von den Pfaden postkolonialer Ideengeschichte schlägt sie -wie bereits in ihrem Ramondebüt- elegant den Bogen zu den Möglichkeiten und Grenzfragen der Selbstzuschreibungen. Unaufgeregt und für ein breites Publikum nachvollziehbar werden Reizthemen wie das Konzept der Cultural Appropriation besprochen. Unideologisch und intelligent werden so dank Bleischs gewohnt pragmatischer Moderation große Teile des weiten Feldes der gegenwärtigen Identitätspolitik durchschritten. Dabei werden durch die Moderierende auch immer wieder dritte Blickwinkel in das Gespräch mit einbezogen, etwa mit einer kurzen Besprechung von Kwame Anthony Appiahs Reflexion auf Identität in seinem Buch Identitäten. Einen kurzen schwachen Moment hat die Sendung einzig, wenn die Moderierende einen Ausschnitt aus einem Gastbeitrag Joachim Gaucks zum Thema zitiert. Verengt auf einen wenig aussagekräftigen Ausschnitt, fällt Sanyals Entgegnung erwartungsgemäß unbefriedigend aus. Hier wird die Möglichkeit auf eine weitere spannende Diskussion verspielt. Ohne die Höhepunkte der Sendung vorwegnehmen zu wollen, sei bemerkt: Wer sich ebenfalls Fragen nach Identität stellt, und dabei individuelle wie gesellschaftliche Relevanzen sucht, dem sei die Sendung empfohlen. Wer sind wir? Bei der Suche nach Antworten wünsche ich eine gute Zeit, die man mit dieser ausgezeichneten Folge der Sternstunde Philosophie sicher hat.

Die Folge: “Identität in Diversität: Wer repräsentiert «uns»?” der Sendung Sternstunde Philosophie des Senders SRF Kultur auf YouTube:

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> https://youtu.be/J1znzn9RTZo

Der Link zur Sendung vom 16.05.2021 in der Mediathek des SRF:

>https://www.srf.ch/play/tv/redirect/detail/4f658116-1ca7-4bd3-922b-5367a3ea70ed

Mehr Informationen zu den Diskutantinnen: 

>https://barbarableisch.ch/

>http://www.sanyal.de/

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