Der Journalist Deniz Yücel ist nicht mehr Präsident des deutschen Zentrums der „Poets, Essayists, Novelists“, kurz PEN. Die Umstände seiner Entfremdung zum deutschen Literaturbetrieb sind aufschlussreich, und die Nachträge, die Yücel nach seinem demonstrativen Rück- und Austritt liefert, amüsieren. Es sind Einblicke in eine „Bratwurstbude“, die vielen als Herz der politischen literarischen Öffentlichkeit gilt. Die in Interviews freimütig vorgetragene Kritik garniert mit Yücels spöttischen Reminiszenzen auf seinen Kanälen in Sozialen Netzwerken zeichnen ein Bild bedrückender Verhältnisse in einer Szene, die als Befreiungsbewegung antrat. Scheinbar dominiert von erdrückenden Egos, die gefangen in tragisch-komischer Selbstüberschätzung zeigen, dass sich Dialektik nicht institutionalisieren lässt. Aber: War nicht einfach Yücels Ego schuld?
Widerspruch und politische Literatur: Das ist in Deutschland nicht selten ein Drama in unzähligen Akten. Wenn der ehemalige Präsident und das ehemalige Mitglied des PEN Deniz Yücel eben jenes als „Bratwurstbude“ bezeichnet, dann klingt das angesichts der weiteren Einblicke, die er jetzt einer größeren Öffentlichkeit darlegt, geradezu schmeichelhaft. Es scheint, als habe die Dynamik, die bei Yücel schon bei der Wahl seiner Themen beginnt, und die sich zwischen seinen Zeilen zu einem ausgewachsenen Sturm verdichtet, wohl die Talare von Sittenwächtern und Spießerkönigen jenes Literatur-Contenance-Komitees, dass seine Mitglieder von Hand verliest, und offenbar jede zweite Gefühlsregung als unverzeihliche Entgleisung wertet, unangenehm aufwirbelt. Doch welchen Wert hat die Verve dieses ungezähmten „Gernegroß“, wie ihn Jürgen Deppe sieht, für die Poeten, Essayisten und Novellisten der Nation? Wenn es die Freiheit des Wortes ist, die fest verankert in den Grundfesten des PEN, seit einhundert Jahren die Identität des Zusammenschlusses der Schriftsteller prägen, was konnte da schon ein zu groß geratener Ego, den man der einstweiligen „Galionsfigur des PEN“ sicher nachsagen kann, ausmachen? War die altehrwürdige Vereinigung schriftstellerischer Freiheit nicht bereit, als „moderne NGO“ zu performen, oder war Yücels Stil -als Schreibender und als Präsidierender schlicht zu flach, wie manche unterstellen? Es gibt für beide Sichtweisen gewichtige Argumente. Daher scheint es spannender, einmal mehr die Landschaft deutschsprachiger Literatur und ihre Bewohner unter die Lupe zu nehmen.
Punks und Gartenzwerge?
Zeigt sich in dem aktuellen Streit ein Muster? Ordnen sich die nun aggressiv summenden Aufgescheuchten gerade etwa in die zwei seit jeher vermuteten und unterstellten Lager littérature engagée und l’art pour l’art? Ja, und nein. Denn es scheint, lässt man die Kritiker Yücels aussprechen, eher die Angst vor der großen Tat zu sein, die den Kollegen des PEN nicht behagte. Doch das enttäuscht ebenso. Denn Deniz Yücel ist eben genau dieser Intellektuelle der kritischen journalistischen Öffentlichkeit Deutschlands, welcher sich vor der Konfrontation mit den unangenehmen Kleingeistern und Hetzern der AfD ebenso wenig scheute, wie vor den klerikalen Reaktionären und Despoten, deren Gefangener er wurde. Zu den Zwecken des Vereins PEN gehören laut Satzung „die Förderung von Kunst und Kultur und die Hilfe für politisch, rassistisch oder religiös Verfolgte, insbesondere von Autorinnen und Autoren.“ Das hätte passen können. Doch scheinbar scheitert es wieder einmal am Format, denn wer auch nicht in die großen Schubladen steigen möchte, gerät schnell ins Abseits. Denn was in der Fraktion der Dualismenschöpfer ebenso häufig nicht verstanden wird, ist der Tanz des Debattenkönigs zwischen TAZ und Springer. Und so muss die Kontroverse wieder einmal zurücktreten, 2:1 für die Liebhaber des ruhigen Kolloquiums.
Framen, was ist
Beide Seiten, Yücel und PEN, hätten doch vorher wissen müssen, mit wem sie es zu tun haben, sagt etwa der Literaturkritiker Jörg Magenau im Deutschlandfunk. So sehr diese banale Wahrheit stimmt, sie verkürzt Yücels Verdienst beim PEN. Denn hier sollte man über die Gelegenheit zur Selbstreflexion dankbar sein und den Sturm zum reinigenden Gewitter umdeuten. Eine einfache Übung im Reframing für Deutschlands Top-Essayisten, müsste man meinen. Denn welcher Literat sich durch den selten bunten Künstler der journalistischen Zunft so ärgern lässt, dass er von Mobbing spricht, unterschätzt die urwüchsige Kraft des geschriebenen Wortes schon länger. Ralf Bönt fasst das Dilemma politischer Literaten dieser Tage mit seinem Kommentar zum Rücktritt Yücels gut zusammen: „Das ist in den Tagen, in denen Julian Assange ausgeliefert werden soll, das russische Militär in Mariupol gezielt Jagd auf Künstler macht und der Elon dem Donald seinen Account zurückzugeben plant, wahrlich keine gute Nachricht.“
Das Ende des Sockelheiligen
Es scheint, als gehe die Zeit intellektuell gewichtiger Literaten in Deutschland ihrem Ende zu. Doch, betrachtet man den Fall Yücel, schwindet die Größe des Einzelnen weniger unter dem Scheinwerferlicht etwas kritischer durchleuchtender Nachgeborener, wie etwa im Paradefall Grass, der wie viele der Alten so zu Recht vom Sockel auf die Füße gestellt wurde, sondern am Unwillen der Einzelnen, sich die verbleibenden Sockel und Säulen zu teilen. Und so bleiben alle im aufgeweichten Gras vor den Bratwurstbuden der Festspiele deutscher Literatur stehen. Yücel hätte bleiben sollen: Denn auf Festivals, auf denen die großen Hymnen längst zerredet sind, muss auch mal der oberste Bratwurstwender auf die Theke hauen.
Bildquellen
- Joshua Tewalt – PEN – The Late Modern: Joshua Tewalt